«Das falsche Instrument zu dieser Zeit» : ref.ch (2025)

Krieg in der Ukraine

Was halten Schweizer Friedensorganisationen von der Konferenz auf dem Bürgenstock? Sie stehen dem Anlass skeptisch gegenüber – denn nicht nur Russland fehlt am Verhandlungstisch.

von Fabio Peter

12. Juni 2024

«Das falsche Instrument zu dieser Zeit» : ref.ch (1)

«Das falsche Instrument zu dieser Zeit» : ref.ch (2)

Das Gipfeltreffen zum Frieden in der Ukraine findet im Palace Hotel des Bürgenstock Resorts hoch über dem Vierwaldstättersee statt. (Bild: Urs Flüeler/ Keystone)

Am kommenden Wochenende richtet sich die internationale Aufmerksamkeit auf die Zentralschweiz. Über 80 Delegationen aus aller Welt reisen auf den Bürgenstock, um über den Krieg in der Ukraine zu sprechen. Die Konferenz hat die Schweiz auf Bitte der Ukraine organisiert. Sie soll laut dem Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) Grundlage für einen zukünftigen Friedensprozess sein.

Bei den Schweizer Friedensorganisationen hält sich die Begeisterung für die Konferenz in Grenzen, wie Gespräche von ref.ch mit dem Schweizerischen Friedensrat (SFR), dem Internationalen Versöhnungsbund der Schweiz (Ifor Schweiz) und mit Frieda – ehemals christlicher Friedensdienst – zeigen. Die Vertreter aller drei Organisationen betonen auf Anfrage von ref.ch, dass die Initiative der Schweiz grundsätzlich lobenswert sei. Geht es jedoch um den Nutzen der Konferenz, zeigen sich die Friedensorganisationen skeptisch.

Die falsche Reihenfolge

Jonathan Sisson, Theologe und ehemaliges Vorstandsmitglied von Ifor sagt etwa: «Ein Gipfel ist das falsche Instrument zu dieser Zeit.» Sollte die Schweiz eine Rolle als Mediatorin übernehmen wollen, hätte sie vorher in bilateralen Gesprächen mit der Ukraine und Russland den Gegenstand der Verhandlungen klären sollen. Das sei aber offensichtlich nicht der Fall gewesen. Deshalb gleiche die Konferenz eher einer «Solidaritätsveranstaltung» für die Ukraine.

«Ich glaube nicht, dass Russland die Schweiz als neutrale Vermittlerin anerkennen würde.»

Peter Weishaupt, Geschäftsleiter des Schweizerischen Friedensrats

Sisson legt damit den Finger auf den wunden Punkt der Konferenz: Sie findet ohne Russland statt. Das Land hat eine Teilnahme schon im Vorfeld kategorisch ausgeschlossen und wurde deshalb von der Schweiz gar nicht erst eingeladen. Selbst der Bundesrat betont, dass ohne Russland kein Friedensprozess möglich sei. Verteidigungsministerin Viola Amherd hat in den Medien die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass Russland an einer Folgekonferenz dabei sein könnte.

Die falsche Adresse

Genau das bezweifelt Peter Weishaupt, Geschäftsleiter des Schweizerischen Friedensrats. «Ich glaube nicht, dass Russland die Schweiz als neutrale Vermittlerin anerkennen würde.» Schliesslich habe sich die Schweiz vor zwei Jahren den Sanktionen gegen Russland angeschlossen – was Weishaupt im Unterschied zu anderen Friedensorganisationen befürwortet. Seither führt Russland die Schweiz auf einer Liste der «unfreundlichen Staaten». Eine Folge davon: Auch die Schweiz ist immer wieder Opfer von russischen Hackerangriffen.

«Waffen schaden den Menschen und der Umwelt auf Generationen hinaus.»

Andrea Nagel, Geschäftsleiterin von Frieda

Weishaupt vermutet daher, dass Staaten wie die USA und China als grösste Unterstützer der Kriegsparteien Russland eher zu Verhandlungen bewegen könnten als die Schweiz. Allerdings attestiert er ihnen einen fehlenden Willen dazu. «Gleichzeitig zeigt Russland keinerlei Anzeichen dafür, überhaupt auf irgendeinen Vorstoss eingehen zu wollen», sagt er. Den Friedensorganisationen bleibe derzeit nicht viel anderes übrig, als auf die Einhaltung des Völkerrechts zu pochen.

Die falschen Anreize

Was die Schweiz sonst noch tun könnte

Einig sind sich die Vertreter der drei Organisationen darin, dass die Schweiz bei Weitem nicht alle Mittel ausgeschöpft hat, um sich für den Frieden einzusetzen. So könne sie etwa vermehrt die Gelder russischer Oligarchen aufspüren und blockieren, die Kriegsgewinne von Firmen in der Schweiz für den Wiederaufbau der Ukraine abschöpfen, die Produktion und die Ausfuhr von Waffen beenden oder Kriegsdienstverweigerern aus der Ukraine und Russland Schutz bieten. (pef)

Einen anderen Ansatz verfolgt Andrea Nagel. Die Geschäftsleiterin der feministischen Friedensorganisation Frieda fordert, dass die Zivilgesellschaft der betroffenen Staaten bei den Verhandlungen miteinbezogen wird – deren Vertreterinnen und Vertreter sind auf dem Bürgenstock nicht dabei. «Wenn es an der Konferenz um eine weitere Aufrüstung geht, ist das für die Bevölkerung beider Länder kein Anlass zur Hoffnung», sagt Nagel. Noch sei der kapitalistische Anreiz für diesen Krieg zu gross. Das zeige sich daran, dass die Schweiz Waffen an Drittstaaten liefere. «Waffen schaffen keinen Frieden, sondern schaden den Menschen und der Umwelt auf Generationen hinaus», sagt Nagel.

Einen stärkeren Einbezug der Zivilgesellschaft und von NGOs befürworten auch Peter Weishaupt vom SFR und Jonathan Sisson von Ifor. Sisson schlägt in diesem Zusammenhang eine internationale Friedenskonferenz der Zivilgesellschaft vor. «Eine solche gab es nach der US-Invasion in Afghanistan», sagt er. Zwar hätte sie den Krieg nicht beendet, aber viel zum Wiederaufbau des Bildungswesens und zur Stärkung der Frauenrechte beigetragen.

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